Antifa Ost-Komplex: Prozessbericht vom 6. Prozesstag vom 10.12.2025 (DD)
Thema des heutigen Prozesstags war der Angriff auf den Kanalarbeiter Tobias Nees Anfang 2019. Es wurden vier Zeugen angehört: Tobias Nees selbst; seine beiden Arbeitskollegen R. und B., die beim Angriff anwesend waren; sowie der Polizist Thomas Gehlhaar, welcher die Erstbefragung unmittelbar nach dem Angriff durchführte.
Es waren knapp 15 Zuschauer*innen im Publikum anwesend.
Zu Beginn des Verhandlungstags gegen 09:30 Uhr wurde erneut durch die Verteidigung auf den unvollständigen Aktenbestand hingewiesen: In der Akte befänden sich Informationen, dass der Zeuge R. zweimal vernommen wurde, die Akteneinsicht selbst umfasse aber nur ein Vernehmungsprotokoll.
Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn von der GBA erklärte, dass sie sofort in ihrer Geschäftsstelle anrufe und nach dem Protokoll frage, aber vielleicht befänden sich die betreffenden Akten bereits im Archiv…
Zur Suche nach dem zweiten Vernehmungsprotokoll wurde die Verhandlung unterbrochen.
Nach Fortsetzung wurde zuerst der Zeuge B. vernommen. B. war der Arbeitskollege von Tobias Nees. Am Tag des Angriffs führten sie Arbeiten am Regenwasserkanal durch.
Plötzlich hätte sich der Angriff durch fünf vermummte Personen ereignet, darunter eine Frau. Zu Beginn des Angriffs wäre B. durch eine Angreiferin angesprochen und aufgefordert worden, zur Seite zu gehen, da man von ihm nichts wolle. Außerdem wäre von den Angreifer*innen artikuliert worden, dass Tobias Nees ein Nazi sei. Einen Dialekt hätte B. nicht raushören können. Der Angriff hätte nur zehn bis 15 Sekunden gedauert. B. selbst hätte den Angriff nicht gesehen, er hätte es nur gehört, da er sich auf der anderen Seite des LKWs befanden hätte. Schlagwerkzeuge habe er nicht sehen können. Die männlichen Angreifer wären alle ca. 1,80m groß gewesen und hätten eine sportliche Statur gehabt.
B. selbst könne nicht einordnen, warum der Angriff passierte. Er hätte auch nicht viel über seinen Kollegen Nees gewusst, es sei ihr erster gemeinsamer Arbeitstag gewesen, Nees wäre neu in der Firma gewesen.
Tobias Nees trug am besagten Tag eine Mütze mit Symbol. Später nach dem Angriff hätten er und andere Personen noch mal nach dem Symbol auf der Mütze recherchiert und es hätte sich herausgestellt, dass es ein ein Nazi Symbol gewesen sei.
Auf Rückfrage des Gerichts führt er aus, dass er erst am Morgen selbst erfahren habe, in welcher Personenkonstellation er am Tag selbst arbeiten werde und welche Aufträge vorlägen. Sie – er und seine Kollegen – hätten an dem Tag mehrere Arbeitseinsätze auf der Bornaischen Straße gehabt. Zwischendurch habe es auch mal eine Kaffeepause gegeben, während der der Kollege Nees beim Netto oder einem anderen Supermarkt gewesen sei. Auch wäre einmal ihr LKW fotografiert worden – das habe er darauf zurückgeführt, dass sie mit einem eher futuristischen LKW unterwegs gewesen wären. Ihm wurden bei der polizeilichen Vernehmung auch Fotos von Tatverdächtigen gezeigt, aber er habe niemanden erkennen können.
Während der Zeugenvernehmung wurden durch das Gericht auch Fotos gezeigt, unter anderem vom Tatort, von den Verletzungen des Nees sowie von der Mütze. Auf der Mütze war ein Greifvogel zu sehen, ein Ungleichheitszeichen und die Schriftzüge „Greifvogel Wear“ und „Radical Warrior Clothing“.
Auf Rückfrage der GBA an den Zeugen B. führte dieser aus, dass die Angreifer*innen schwarze Kleidung, Sturmhauben und Handschuhe getragen hätten. Vor dem Angriff hätten B. und seine Kollegen für zwei bis drei Stunden auf der Bornaischen Straße gearbeitet, während dessen hätte Nees sichtbar seine Mütze getragen. Nach dem Angriff habe er Nees erstversorgt.
Auf Rückfrage der Verteidigung erklärte er noch mal seinen genauen Standort hinter dem LKW und seine Wahrnehmung, aus welcher Richtung die Angreifer*innen gekommen seien und wie sie flohen, wobei er diese aber schnell aus den Augen verloren habe. Direkt im Anschluss an den Angriff fand die erste polizeiliche Vernehmung durch zwei Beamte statt, dabei suchten sie auch auf ihren Handys nach der Bedeutung der Mütze. Die Fotos von den Tatverdächtigen wären ihm aber erst bei der zweiten Vernehmung auf der Polizeidienststelle gezeigt worden, aber er erkannte dort niemanden. Nach der Vernehmung hätte er nicht weiter zu der Mütze recherchiert. Ihm hätte gereicht, was darunter stand, irgendwas mit einer gewalttätigen Nazi-Gruppe.
Anschließend wurde der Zeuge B. entlassen.
Dann erklärte das Gericht, dass das zuvor fehlende Vernehmungsprotokoll nun vorliege.
Dann war Mittagspause. Vorm Gericht stellten solidarische Menschen leckeren Kaffee bereit.
Anschließend wurde der Zeuge R. vernommen. Dieser war ebenfalls ein Kollege des Tobias Nees und am Angriffstag gemeinsam mit ihm auf Arbeit.
Er selbst hätte den Angriff nicht sehen können, sondern habe nur Geräusche gehört: „Uhh uhh uhh“. Er denkt, die Angreifer*innen seien drei Männer und eine Frau gewesen. Aber die Ankunft der Angreifer*innen habe er nicht sehen können. Im Nachgang habe er auch zu der Mütze des Nees recherchiert. Darauf war ein Greifvogel Symbol und altdeutsche Schrift. Die Angreifer*innen hätten keinen Dialekt gehabt. Sie hätten Handschuhe, Springerstiefel und schwarze Kleidung getragen. Schlagwerkzeug habe er nicht wahrgenommen.
Auch für ihn wäre Tobias Nees ein neuer Kollege gewesen und er habe ihn nicht politisch einschätzen können. Er wisse auch nicht mehr, ob der Nees die Mütze bereits den ganzen Tag getragen habe oder nicht. Nach dem Angriff wäre Nees von alleine vom LKW vorgekommen, sie seien dann erst Mal in eine Art Café gegangen. Nach dem besagten Tag habe er keinen weiteren Kontakt mehr zum Nees gehabt.
Auf Nachfrage der GBA erklärte er, dass Nees nach dem Angriff ansprechbar gewesen sei, aber Verletzungen im Gesicht gehabt hätte. Er habe Nees gefragt, ob er der rechten Szene angehöre, aber das hätte dieser verneint.
Die Verteidigung hakte noch mal nach wegen der Recherche zu der Mütze. Der Zeuge R. wusste nicht mehr, ob er selbst recherchiert hatte oder andere und er und andere gemeinsam.
Da es keine weiteren Fragen gab, wurde der Zeuge R. entlassen.
Anschließend wurde Tobias Nees selbst als Zeuge vernommen.
Er schilderte den Ablauf des unvermittelten Angriffs. Die Mütze hätte er getragen, da diese keine besondere Bedeutung mehr für ihn gehabt habe und er in der Kanalisation rumgehangen habe. Vom Hörensagen wisse er, dass es fünf bis sechs Angreifer*innen gewesen sein. Er hätte keine spezifischen Erinnerungen an den Angriff, aber wäre wohl mit der Faust geschlagen worden und habe eine sternförmige Verletzung am Hinterkopf davon getragen. Er könne nicht einordnen, warum der Angriff erfolgt sei. Nach dem Angriff habe er selbstständig aufstehen können und hätte sich dann mit Hilfe seiner Kollegen in den nahe gelegenen Laden begeben. Die Angreifer*innen könne er nicht beschreiben. Circa eine Stunde vor dem Angriff sei er in der Nähe des Nettos in einem Park bei einer Nebenstraße austreten gewesen.
Als Jugendlicher sei er mal in der rechten Szene aktiv gewesen, dann sei er ausgestiegen, jetzt habe er Familie. Er wurde auch verurteilt wegen Körperverletzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole und habe weitreichende Beziehungen gehabt, aber dann habe er sich abgekapselt.
Die besagte Mütze hätte er seit morgens getragen. Seine Frau habe sie ihm eingepackt. Die Mütze habe er schon lange, ein Freund hätte sie besorgt. Die Mütze habe keine weitere Bedeutung mehr für ihn.
Durch den Angriff sei er vor allem im Gesicht, am Kopf und Rücken verletzt worden. Am Tag selber sei er im Krankenhaus zu Untersuchung gewesen, dann zehn Tage später noch mal zur OP – er habe sich dann selbst entlassen, er sei nicht so der Krankenhaustyp. Nun habe er Platten im Kopf, Panikattaken und alle zwei bis drei Tage Kopfschmerzen. Einbußen in der Sehkraft habe er aber nicht.
Bei der polizeilichen Vernehmung seien ihm Fotos von verdächtigen Personen vorgelegt worden. Er habe keine Person identifizieren könen, aber eine Augenpartie schien ihm bekannt.
Auf Nachfrage der Verteidigung führte Nees aus, dass er im Nachgang mit seinen Kumpels ein Gespräch geführt habe und diese ihm da gesagt hätten, dass sich der Angriff in einem linken Viertel ereignet habe. Bei der polizeilichen Vernehmung sagte Nees, dass einer der Angreifer einen Dialekt gehabt habe, so als ob dieser erst deutsch gelernt hätte. Seine Assoziation sei ein aus der Ukraine stammender Kollege. Nees betonte auch noch mal, dass die Mütze für ihn keine Bedeutung mehr habe. Früher hätte er solche Sachen getragen, aber jetzt nicht mehr, seine Vergangenheit sei „sinnlos!“, er wäre gut vernetzt gewesen, jetzt habe er nur noch ein paar Freunde aus der Szene und denen würde er auch zum Ausstieg raten. Seine Verurteilung wegen Körperverletzung wäre wegen einer Keilerei auf dem Dorffest gewesen, eine Meinungsverschiedenheit.
Der Angriff auf ihn habe sich bei seinen alten Kumpels rumgesprochen. Sein Freund Sandro Schulz hätte gemeint, dass es klar sei, wenn man in Connewitz so eine Mütze trage, dann passiere sowas.
Nees habe die Mütze mehrere Jahre vor dem Kennenlernen mit seiner Frau geschenkt bekommen. Das müsse schon viele Jahre her sein, sagte er. Eine Verteidigerin machte ihn darauf aufmerksam, dass es die Marke selbst aber erst seit 2013 gäbe und es unwahrscheinlich sei, dass die Mütze bereits früher produziert worden wäre. Nees ist sich aber sicher, er habe sie vor dem Kennenlernen mit seiner Frau bekommen, denn seine Frau sei „eher aus dem anderen Lager“ als er.
Er habe sich auch viele Tättowierungen überstechen lassen, weil er wegen denen kein Job bekommen habe. Ein paar müsse er sich noch überstechen lassen. Darunter eine, die er sich gemeinsam mit „10 Mann“ stechen lassen habe, die bedeute „eine Familie“.
Anschließend wurde Tobias Nees entlassen.
Zuletzt wird noch der Polizist Thomas Gehlhaar von der Dimitroffwache in Leipzig als Zeuge vernommen.
Dieser erhielt am besagten Tag den Notruf. Er führte auch die Erstbefragung beim Nees durch, aber diese hätte wegen Schmerzen abgebrochen werden müssen. In der Erstmeldung hieß es, dass Nees getreten worden sei, aber später sei dann nur noch von Schlägen die Rede gewesen.
Die Mütze sei von seinem damaligen Kollegen in Ausbildung erkannt worden. Vielleicht habe das mit einem Kampfsportevent zu tun, wegen dem Symbol auf der Mütze. Aber es hätte vor Ort keine Erkenntnisse zu der Mütze gegeben. Der Verbleib seines damaligen Kollegen in Ausbildung sei ihm aber unbekannt, im Polizeidienst sei dieser nicht mehr.
Nach Aussage des behandelnden Arztes hätten die Verletzungen des Nees von der Verwendung eines Gegenstands her gerührt.
Anschließend wurde der Zeuge entlassen.
Der heutige Verhandlungstag endet um 14:50.
Der kommende Verhandlungstag am Dienstag, 16.12.25, beginnt um 09:30 Uhr. Geplanter Inhalt ist das Gutachten einer*s medizinischen Sachverständigen.
Die Berichte zu den Prozesstagen 1 bis 5 sind abrufbar unter: https://www.antifaostkomplex.org/prozessberichte/
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen
